Kubanische Stadtansichten – Havanna. Ein Fotoessey von Ewa Maria Wolańska

Pubikation: Frauen erneuern Havanna
Architektinnen, Ingenieurinnen und ihre Bauwerke in der Altstadt
Christine Heidrich (Herausgeberin)
Kehrer Verlag, Heidelberg 2020.

“Architektur ist weiblich”, die Fotografie auch. Kubanische Stadtansichten von Ewa Maria Wolańska. Sylvia Claus

Architektinnen, Ingenieurinnen, Stadtplanerinnen: Im ehemals kommunistisch regierten Kuba sind sie gleichberechtigt, ja, mehr noch – sie sind in ihren Berufen so zahlreich vertreten, dass sie im Bauwesen die führende Rolle übernommen haben. Wenn die Aufnahmen von Ewa Maria Wolańska keine spektakulären Neubauten zeigen, sondern ein scheinbar historisches Havanna, dann deshalb, weil die zentrale Aufgabe in der kubanischen Metropole die Erhaltung, Restaurierung und behutsame Erneuerung der Stadt ist. Die Eingriffe offenbaren sich nicht auf den ersten Blick. Insofern ist es folgerichtig, wenn der historisch-kritischen Aufarbeitung des architektonischen Schaffens in Havanna die Stadtansichten Ewa Maria Wolańskas an die Seite gestellt werden.

Fünf Orte zeigen die Fotografien, vier davon befinden sich in der Altstadt Havannas: Die im 17. Jahrhundert entstandene Plaza Vieja ist der grösste Platz von Habana Vieja und mit seinen zahlreichen Museen auch ihr kulturelles Zentrum. Nördlich davon liegt die Plaza del Catedral als religiöser Mittelpunkt, während die Plaza del Cristo westlich der Plaza Vieja ein kleinerer, vor allem bei den Einheimischen beliebter Treffpunkt ist. Der Paseo di Prada, ein zwei Kilometer langer Boulevard, markiert die Grenze von Altstadt und Centro Habana (Havanna Mitte). Nordwestlich schliesst sich Maleca an, die Uferpromenade, die von 1901 bis 1950 ihre heutige Erscheinung erhielt und die vom Kopf des Paseo di Prada über Centro Habana und Vedado bis zum Stadtviertel Miramar verläuft.

Wolańskas panoramatische Aufnahmen zeigen, dass Stadt mehr ist als eine Ansammlung von Einzelbauten. Raum, Platz, Strasse, der Atlantik sind mindestens so wichtig wie die Architektur selbst. Menschen, die diese Flächen bevölkern, stehen nicht im Zentrum von Wolańskas Interesse. Einzig die Aufnahme der Plaza de Catedral lässt die pulsierende Stadt ahnen. Auf den Bildern der Plaza del Cristo dominiert der Schatten der Bäume, vor dessen Dunkel die Menschen sich kaum abheben. Auch auf denen des Paseo del Prado sind sie unter den Bäumen fast nichts auszumachen. Hitzeleere Strassen und Platzflächen strahlen grösste Ruhe aus. Meist lässt ein Schatten in den Ecken der Bilder noch die Linse, in der sich das Licht fängt, ahnen.

Diese Schatten, die man von alten Aufnahmen kennt, lassen den Betrachter ebenso innehalten, wie die schwarze Umrahmung, die essentiell ist für diese Arbeiten Wolańskas. Sie verdeutlicht, dass die Fotografie fragmentarisch ist. Wolańska behauptet nie, die Realität zu zeigen, sondern dokumentiert, dass jeder noch so weite Blickwinkel immer nur einen Ausschnitt einfangen kann. Der Entstehungsprozess des Bildes wird sichtbar. Die Technik, mit der die Fotografin arbeitet, ist konstitutiv für den Inhalt. Über die auf den Bildern gezeigten Orte hinaus thematisiert Ewa Maria Wolańska die sinnliche Wahrnehmung  und individuelle ästhetische Erfahrung der Fotografie und ihrer Produktion.

In Kuba arbeitete Ewa Maria Wolańska mit einem Material, das flüchtig ist und limitiert zugleich: mit Instant Color Film FP-100 Fuji Film. Das ist ein Sofort-Bild Material, das seit einigen Jahren nicht mehr produziert wird. Das Material, das Wolańska einmal erworben hat, steht ihr zur Verfügung, darüber hinaus nichts mehr. Daher birgt das Sofort-Bild fast die gleiche Herausforderung, wie die andere Technik, mit der sie zu arbeiten pflegt, die analoge Fotografie mit einer alten Plattenkamera. Dieses Gerät ist schwer. Die grossformatigen Glasplatten sind unhandlich. Es können jeweils nur wenige davon transportiert werden. Gegenstand, Ausschnitt und Zeitpunkt der Aufnahme müssen im Vorfeld bedacht und komponiert werden.

Da die Menge an Instantmaterial nun limitiert ist, muss die Fotografin beim Sofort-Bild ebenso wohlüberlegt vorgehen. Sie muss sich mit dem Ort auseinandersetzen, das Sujet wählen, Lichtsituation und Moment der Aufnahme planen – und das, obwohl man mit diesem Material, das direkt vor Ort entwickelt wird, eigentlich Spontanität und Skizzenhaftigkeit verbindet. Aus diesem Kontrast erwächst die künstlerische Kraft der Fotografien Wolańskas.  Er wird noch verstärkt dadurch, dass die Aufnahmen flüchtig sind. Die Bilder verblassen auf dem Instant-Material, je stärker sie dem Licht ausgesetzt sind, desto schneller – bis sie am Ende ganz verschwunden sind. Da von jeder Fotografie nur ein Exemplar existiert, ist diese dann unwiederbringlich verloren. Wolańska thematisiert damit Vergänglichkeit im doppelten Sinne. Die auf Dauerhaftigkeit angelegte Architektur wird mit einem Medium erfasst, dass volatil ist, und damit wird auch ihre Evidenz hinterfragt:  “Die Bilder der Architektur, die immer mit der Natur verbunden sind, zeigen das am deutlichsten.  So kann man auch ein konzipiertes Objekt fotografieren und es ist egal, ob es realisiert worden ist oder nicht…. oder vielleicht existiert es schon nicht mehr….”[1]

Doch Wolańska findet sich mit den Beschränkungen des Sofort-Bild-Materials nicht ab. Sie experimentiert und gewinnt aus dem Verbrauchsmaterial ein Negativ, mit dem sie weiterarbeiten kann. Da die materielle Grundlage eine andere ist, entstehen ganz neue Bilder der gleichen fotografischen Aufnahme. Indem Wolańska die handwerklich-technischen Aspekte in Szene setzt, geht es ihr also auch um die Reflexion dessen, was Fotografie eigentlich ist und in welchem Verhältnis sie zur realen Welt steht. Sie lotet Grenzen aus: die des Mediums und die des Bildgegenstands. Und genau deshalb sind Wolańskas Fotografien eine hervorragende Entsprechung zur Arbeit von Architektinnen, Bauingenieurinnen und Stadtplanerinnen in Kuba.


  1. Ewa Maria Wolańska an die Autorin, 11. Juli 2019.
Malecón, Havanna, Kuba 2017. Negativ
Malecón, Havanna, Kuba 2017. Negativ
Malecón, Havanna, Kuba 2017. Instant - Original
Malecón, Havanna, Kuba 2017. Instant - Original
Malecón, Havanna, Kuba 2017. Negativ
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Malecón, Havanna, Kuba 2017. Instant - Original
Malecón, Havanna, Kuba 2017. Negativ
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Malecón, Havanna, Kuba 2017. Instant - Original
Malecón, Havanna, Kuba 2017. Instant - Original
Paseo del Prado, Havanna, Kuba 2017. Negativ
Paseo del Prado, Havanna, Kuba 2017. Negativ
Paseo del Prado, Havanna, Kuba 2017. Instant - Original
Paseo del Prado, Havanna, Kuba 2017. Instant - Original
Paseo del Prado, Havanna, Kuba 2017. Negative
Paseo del Prado, Havanna, Kuba 2017. Negative
Paseo del Prado, Havanna, Kuba 2017. Instant - Original
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Paseo del Prado, Havanna, Kuba 2017. Negativ
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Paseo del Prado, Havanna, Kuba 2017. Instant - Original
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Plaza Vieja, Havanna, Kuba 2017. Negativ
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Plaza del Cristo, Havanna, Kuba 2017. Negativ
Plaza del Cristo, Havanna, Kuba 2017. Negativ
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Plaza del Cristo, Havanna, Kuba 2017. Negativ
Plaza del Cristo, Havanna, Kuba 2017. Negativ
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Paseo del Prado, Havanna, Kuba 2017. Negativ
Paseo del Prado, Havanna, Kuba 2017. Negativ
Paseo del Prado, Havanna, Kuba 2017. Instant - Original
Paseo del Prado, Havanna, Kuba 2017. Instant - Original
Paseo del Prado, Havanna, Kuba 2017. Negativ
Paseo del Prado, Havanna, Kuba 2017. Negativ
Paseo del Prado, Havanna, Kuba 2017. Instant - Original
Paseo del Prado, Havanna, Kuba 2017. Instant - Original
Plaza Vieja, Havanna, Kuba 2017. Negativ
Plaza Vieja, Havanna, Kuba 2017. Negativ
Plaza Vieja, Havanna, Kuba 2017. Instant - Original
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Plaza de la Catedral, Havanna, Kuba 2017. Negativ
Plaza de la Catedral, Havanna, Kuba 2017. Negativ
Plaza de la Catedral, Havanna, Kuba 2017. Instant - Original
Plaza de la Catedral, Havanna, Kuba 2017. Instant - Original